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Messmethoden
Bei den Verfahren zur HRV-Messung unterscheidet man grundsätzlich zwischen zwei unterschiedlichen methodischen Zugängen, und zwar zeitanalytische und frequenzanalytische Methoden.
Zeitanalytische Methoden
Die zeitanalytischen Methoden basieren auf einfachen deskriptiven statistischen Verfahren zur Beschreibung der Streuungsbreite der RR-Intervalle. Für die Analysen werden grundsätzlich zwei unterschiedliche Datenquellen herangezogen: (1) die real gemessenen RR-Zeiten der in die Messperiode eingehenden Herzschläge und (2) die berechneten Differenzen zwischen den RR-Zeiten aufeinanderfolgender Herzschläge. Da viele Maße redundant sind, seien nachfolgend nur die bedeutsamsten herausgegriffen.
- SDRR: Dies ist die Standardabweichen, also die Wurzel aus der Varianz aller RR-Zeiten der Messperiode, gemessen in Millisekunden (ms). In das SDRR-Maß gehen alle hochfrequenten und niederfrequenten Variationen, d.h. alle schnellen und langsamen zyklischen Veränderungen der Herzrate während der jeweiligen Messperiode ein. Daher stellt es ein Maß der HRV-Gesamtvariabilität bzw. ein Maß für das Gesamtniveau des autonom-nervösen Regulationsstatus dar. Es entspricht der Gesamtpower (total power) des frequenzanalytisch erhaltenen Wertes und korreliert hoch mit diesem.
- RMSSD: Dieses Maß gehört zur zweiten Gruppe zeitanalytischer Methoden, die die Differenzen zwischen den RR-Intervallen aufeinanderfolgender Herzschläge analysieren. RMSSD berechnet sich als die Quadratwurzel der Summe der quadrierten Differenzen zwischen benachbarten RR-Intervallen. Es reflektiert schnelle Variationen der Herzschlaggeschwindigkeit und ist das zurzeit bekannteste und bewährteste zeitanalytische Maß zur Erfassung hochfrequenter Schlag-zu-Schlag Variationen des Herzschlags. Es gilt als zeitanalytisches Standardmaß der parasympathischen Herzregulation und korreliert demzufolge hoch mit der high frequency power, dem frequenzanalytischen Standardmaß der parasympathischen Aktivierung.
- pRR50: Anzahl der aufeinanderfolgenden RR-Intervalle >50ms, dividiert durch die Gesamtzahl aufeinanderfolgender RR-Intervalle. Es gilt ebenfalls als Maß des parasympathischen Aktivierungsniveaus.
Frequenzanalytische Methoden
Die frequenz- oder spektralanalytischen Verfahren (Power Spektrum Analyse) zerlegen die gesamt Herzschlagvariabilität in ihre Frequenzkomponenten und liefern Informationen darüber, welcher Betrag der Varianz (Power) des Herzrhythmus durch periodische Oszillationen der Herzrate einer bestimmten Frequenz erklärt werden kann. Dabei wird das gesamte Frequenzspektrum in einzelne Frequenzbänder unterteilt. Für ein bestimmtes Frequenzband wird ein Maß der Spektralpower (Variationsstärke) auf die Weise bestimmt, dass die Fläche unter der Spektraldichtefunktion ermittelt wird (vgl. Abbildung). Üblicherweise werden 3 Frequenzbänder unterschieden. Der Ausprägungsgrad der einzelnen Frequenzbänder, d.h. ihre absolute Power, wird als Millisekunden zum Quadrat (ms²) angegeben.
Als mathematisches Verfahren kommt am häufigsten die Fast Fourier Transformation (FFT) zur Anwendung. Die FFT ist eine hochvalide und reliable Messmethode zur Bestimmung der autonom-nervösen Indikatoren in Ruhephasen, während deren sich die Herzschlaggeschwindigkeit nicht gravierend ändert. Sie analysiert relativ lange Zeitbereiche, die mehrere Perioden des interessierenden Frequenzbandes beinhalten müssen und setzt voraus, dass das in Frage kommende Signal stationär ist. Sie erlaubt daher keine valide kontinuierliche Messung von Zeitverläufen, die durch schnelle und bedeutsame Veränderungen der Power des zu erfassenden Frequenzbandes charakterisiert sind, wie dies zum Beispiel für Messungen während oder nach intensiven körperlichen Belastungen der Fall ist.
Für letzteren Fall bieten sich sog. wavelet Verfahren an, wie z.B. die Complex Demodulation Method (CDM). Dieses ist eine nichtlineare Methode, die zur Analyse von Zeitverläufen mit nichtstationären und unstabilen Oszillationen geeignet ist und die kontinuierliche Erfassung von beliebig schnellen Veränderungen des interessierenden Aktivierungsniveaus in beliebig langen Zeitabschnitten erlaubt.
Die wichtigsten frequenzanalytischen Maße sind:
- High Frequency Power (HFms²): Dieses Frequenzband beinhaltet die hochfrequenten atmungskorrelierten Veränderungen der Herzschlaggeschwindigkeit und wird üblicherweise im Bereich zwischen 0.15 und 0.40 Hertz angesiedelt, alternative häufig jedoch auch im Bereich zwischen 0.12 und 0.40 Hertz. Die HF-Power in absoluten Werten (HFms²) ist ein unbestrittenes selektives Maß der parasympathischen Aktivierung.
- Low Frequency Power (LFms²): Dieses Frequenzband beinhaltet langsamere Oszillationen der Herzschlagfrequenz und erstreckt sich über den Frequenzbereich von 0.04 0.15 Hertz. Wie bereits erwähnt, wird die Spektralpower in diesem Band überwiegend, jedoch nicht ausschließlich durch sympathische Aktivierung bedingt. Ein nicht näher bezifferbarer Teil der Power geht darüber hinaus auf parasympathische Aktivität zurück.
- Very Low Frequency Power (VLFms²): Dieses Band wird in der Regel im Frequenzbereich zwischen 0.003 0.04 Hertz angesetzt. Es liegen zuzeit nur unvollständige Kenntnisse über die physiologischen Regulationsmechanismen dieses Frequenzbandes vor. Man geht unter anderem davon aus, dass thermoregulatorische und periphere vasomotorische Prozesse sowie Veränderungen des Renin-Angiotensin Systems einen Einfluss auf dieses Frequenzband ausüben. Auch über die Auswirkungen unterschiedlicher Ausprägungsgrade der VLF-Power ist zuzeit nur wenig bekannt. Eine exakte Bestimmung der VLF-Power erfordert Messzeiten von bis zu einer Stunde. Die untere Grenze, bis zu der eine Bestimmung der VLF-Power noch sinnvoll ist, liegt bei einer Messzeit von über 5 Minuten.
- Total Power (TPms²): Hierunter versteht man die über die verschiedenen Frequenzbänder aufsummierte Gesamtpower. Es ist ein Maß für das Gesamtniveau des autonom-nervösen Regulationsstatus und korreliert hoch mit dem zeitanalytischen SDRR-Maß.
- Normalisierte HF (HFnu) und LF (LFnu) Power: Neben den absoluten Zahlenwerten für HFms² und LFms² wird üblicherweise die Power in diesen beiden Frequenzbändern auch in normalisierten Einheiten bestimmt (HFnu, LFnu). Hierzu wird die Power in jedem dieser beiden Frequenzbänder an der Gesamtpower nach Abzug der VLF-Power relativiert. Z.B.: HFnu = HFms²/(TPms² - VLFms²) x 100. Normalisierte Powerwerte sind als zusätzliche Angaben insbesondere sinnvoll, um bei sehr starken Streuungen der Gesamtpower die Abhängigkeit von HF- und LF-Power von der Total Power zu eliminieren. Außerdem wird durch diese Vorgehensweise das Verhältnis im Ausprägungsgrad der Power beider Frequenzbänder unmittelbar deutlich.
- HF% und LF%: Neben der oben beschriebenen Normalisierung der HF- und LF-Werte wird häufig auch der prozentuale Anteil der Power jedes dieser Frequenzbänder an der Gesamtpower (Total Power) unter Einbeziehung der VLF-Power berechnet. Dadurch werden die Werte auch, anders als bei der Normalisierung, durch die Höhe der VLF-Power beeinflusst.
- LFms²/HFms²: Die Bildung des Verhältnisses zwischen den Powerwerten in den beiden Frequenzbändern dient dem gleichen Zweck wie die Normalisierung der Powerwerte. Das Verhältnis LF/HF erlaubt eine Aussage über die relative Gewichtung beider Frequenzanteile und damit über den relativen Ausprägungsgrad der sympathischen gegenüber der parasympathischen Aktivierung (sympatho-vagale Balance).
Für eine übersichtliche und leicht interpretierbare Darstellung der individuellen Untersuchungsbefunde einzelner Probanden oder Patienten bieten sich verschiedene Darstellungsmöglichkeiten an. Die von uns präferierte Darstellungsweise ist ein zweidimensionales Schema, das eine Kombination aus dem Gesamtniveau des autonom-nervösen Regulationsstatus und dem Verhältnis zwischen sympathischer und parasympathischer Aktivierung enthält. Die Lokalisation des Individualwertes einer Person wird durch einen blauen Punkt markiert (vgl. Abbildung).
Auf der x-Achse ist sympatho-vagale Balance abgetragen (LFms²/HFms²). Je weiter sich eine Person auf der x-Achse nach links bewegt, umso stärker ist ihre parasympathische Aktivierung im Vergleich zur sympathischen Aktivierung ausgeprägt. Je weiter der Punkt nach rechts verschoben ist, umso stärker ist die sympathische gegenüber der parasympathischen Aktivierung ausgeprägt.
Auf der y-Achse ist das Gesamtniveau des autonom-nervösen Regulationsstatus abgetragen. Hierzu können entweder der zeitanalytisch gewonnene SDRR-Wert oder der frequenzanalytisch gewonnene Total Power (TP) Wert herangezogen werden. Je höher der Wert einer Person auf der y-Achse angesiedelt ist, umso effizienter ist ihre autonom-nervöse Regulationsfähigkeit.